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In Europa ist der Protest gegen Freihandelsabkommen in den vergangenen zwei Jahren sichtbar gewachsen. Regierungspolitiker*innen sprechen dagegen immer noch von Vorteilen und betonen, wie wichtig es ist, die Regeln möglichst selbst zu bestimmen. Welche Wirkungen aber hat der Freihandel für Afrika? Gerade diesem Kontinent zwingt die EU sogenannte Wirtschafts–Partnerschafts–Abkommen (WPAs bzw. EPAs für Economic Partnership Agreements) auf. So nötigt sie afrikanische Staaten, ihre Märkte für Importe zu öffnen und Konzernen Zugang zu ihren Rohstoffen zu gewähren.

Bestandsaufnahme

Im November 2017 wollte die EU-Kommission die fünf Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den fünf afrikanischen EPA-Regionen längst schon in der Implementierungsphase haben. Stattdessen gibt es jetzt einen Flickenteppich unterschiedlicher Vereinbarungen. Trotz langwieriger Verhandlungen seit mehr als 15 Jahren und trotz aller Bemühungen der EU-Kommission, das was man als EPA-Krise bezeichnen muss, zu regeln und gelegentlich auch klein zu reden, steht die ganze Herausforderung vor uns: eine Region, die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC), hat bis jetzt ein regionales Abkommen ratifiziert, welches seit Oktober 2016 vorläufig in Kraft getreten ist. Angola zog sich aus den Verhandlungen zurück, obwohl es der SADC angehört, weil es mit den Ergebnissen nicht zufrieden ist. Auch andere Länder wie Botswana und Namibia sind alles andere als begeistert. Überall herrscht das Gefühl, die Regierungen hätten nur aufgrund der Drohungen der EU-Kommission unterzeichnet. Überzeugt vom Mehrwert der WPAs für ihre Länder sind sie nicht. Im Gegenteil: die Kommission hat sich auf ihre Vorschläge, die das WPA zu einem Win-Win-Abkommen hätte gestalten können, keineswegs eingelassen.

In allen anderen Regionen sieht die Situation viel unübersichtlicher aus:

Nur für Fünf Länder Ost- und Südafrikas gilt seit 2009 ein Interimsabkommen. Weitere nicht weniger wichtige Länder dieser Region (Sambia, Malawi, Djibuti, Eritrea, Äthiopien, Somalia, Nordsudan) gehören nicht dazu. Sie handeln im Rahmen der „Everything but arms“-Initiative (EBA). (1) Seit langer Zeit finden in dieser Region keine Verhandlungen mehr statt.

In Ostafrika sind zwei Mitgliedsländer (Kenia und Ruanda) unter dem WPA-Regime, obwohl die anderen Länder der Region, Uganda, Tansania und Burundi, noch nicht unterzeichnet haben. Gerade Burundi und Südsudan haben sowohl intern als auch in ihren Beziehungen mit der EU Probleme, die eine schnelle regionale Lösung im Blick auf die EPAs unwahrscheinlicher erscheinen lassen. Von Tansania gibt es Einwände in Bezug auf die Verluste der Staatseinnahmen, den Schutz der jungen Industrie und die Auswirkungen des BREXIT. Solange die EU nicht bereit ist, neu zu verhandeln, ist keine regionale Lösung in Sicht. Zwischen Tansania, Kenia und Ruanda haben sich aufgrund der EPA-Verhandlungen die Spannungen verschärft.

In Zentralafrika hat Kamerun 2014 ein Interimsabkommen ratifiziert, das mittlerweile auch in Kraft getreten ist. Äquatorial-Guinea, Gabun und Kongo-Brazzaville sind unter Generalised System of Preferences – GSP (2), Sao Tomé, der Tschad, Zentralafrika und Kongo-Kinshasa unter „Alles außer Waffen-EBA“. Alle Versuche der Kommission und Kameruns, diese Länder der Region zur Liberalisierung nach dem Vorbild Kameruns zu zwingen, sind gescheitert. Auch hier haben die EPAs die Spannungen zwischen Kamerun und den anderen verschärft.

Westafrika hat es mit vier unterschiedlichen Marktzugängen zu tun: das GSP gilt für die Kapverden und Nigeria, „Alles außer Waffen“-EBA für die 13 am schwächsten entwickelten Länder (Least Developed Countries - LDCs) der Region. Mit Ghana und der Elfenbeinküste bestehen Interimsabkommen. Dass auch hier die Spannungen zwischen Nigeria einerseits und Ghana und der Elfenbeinküste auf der anderen Seite deutlich spürbarer geworden sind, versteht sich von allein.

Cotonou-Abkommen: Selbstverpflichtungen im Blick auf die WPA

Um die Tragweite der gegenwärtigen Krise der die EPAs in vollem Umfang wahrnehmen und zukunftsfähige Auswege aus der Krise entwerfen zu können, sei an einige der Vereinbarungen erinnert, welche sich die Vertragsparteien des Cotonou-Abkommens (3) vorgenommen hatten:

Zu den Zielen der WPAs

Artikel 34:

„Ziel der wirtschaftlichen und handelspolitischen Zusammenarbeit ist es, die harmonische und schrittweise Integration der AKP-Staaten (4) in die Weltwirtschaft unter gebührender Berücksichtigung ihrer politischen Entscheidungen und Entwicklungsprioritäten zu fördern und auf diese Weise ihre nachhaltige Entwicklung zu begünstigen und einen Beitrag zur Beseitigung der Armut in den AKP-Staaten zu leisten.“

Um unterschiedliche Kräfteverhältnisse zu berücksichtigen heißt es in Artikel 35:

„Bei der wirtschaftlichen und handelspolitischen Zusammenarbeit wird den unterschiedlichen Bedürfnissen und dem unterschiedlichen Entwicklungsstand der AKP-Staaten Rechnung getragen.“

Vor dem Abschluss der Verhandlungen sollen Voraussetzungen erfüllt werden:

Artikel 37, 3:

„Der Vorbereitungszeitraum wird ferner genutzt für den Ausbau der Kapazitäten im öffentlichen und im privaten Sektor der AKP-Staaten, einschließlich Maßnahmen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, für die Stärkung der regionalen Organisationen und für die Unterstützung der Initiativen zur Integration des Regionalhandels.“

Zur Regionalintegration und zur Logik der Verhandlungen

Artikel 37,5:

„Die Verhandlungen über die WPAs werden unter Berücksichtigung des Prozesses der regionalen Integration der AKP–Staaten mit denjenigen AKP–Staaten geführt, die sich dazu in der Lage sehen, auf der von ihnen für geeignet erachteten Ebene und nach den von der AKP–Gruppe vereinbarten Verfahren.“

Es fällt auf, dass im Laufe der Verhandlungen die eigentlichen Ziele (Armutsreduzierung und Regionalintegration) aus den Augen verloren gingen. Die Voraussetzungen nach Artikel 37,3 wurden nicht erfüllt. Die angekündigte Berücksichtigung der Unterschiede fand nicht statt. Die Marktöffnung für die LDCs wurde erzwungen. Es bestand keine Pflicht, die WPAs in ihrem jetzigen Umfang zu verhandeln. Die Verfahren und das Tempo der Verhandlungen diktierte allein die EU. Diese Vertragsverletzungen führen zu den zu erwartenden negativen Auswirkungen der einzelnen Abkommen. Das belegen viele Studien in den letzten Jahren im Blick auf die Industrialisierung, die Landwirtschaft, die Staatseinahmen und den Aufbau strategischer Partnerschaften mit anderen Regionen außerhalb der EU. Sie verlangen eine grundlegende Kurskorrektur. Ein „weiter so“ ist keine Lösung.

Wie weiter mit den WPAs?

Die Schwedische Entwicklungsagentur SIDA (Swedisch International Development Cooperation Agency) hatte bereits 2005 in einer Studie gewarnt, dass die EU in Afrika durch die WPA-Verhandlungen das Gegenteil ihrer erklärten Ziele bewirken könnte. Genau diese Befürchtung ist eingetreten.

Im Blick auf das angerichtete Chaos halten wir es für notwendig, die vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) formulierten Empfehlungen vor Augen zu führen und daraus Konsequenzen für den Ausweg aus den EPA–Krisen zu ziehen. In seinem Positionspapier zur deutschen G20-Präsidentschaft bezieht sich der RNE explizit auf den vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eingebrachten Vorschlag für einen „Marshall-Plan mit Afrika.“ Letzterer verlangt „eine Entwicklung vom `Freihandel zum Fairhandel´ und neue Regeln der Zusammenarbeit. Er fordert einen `Stopp von schädlichen Exporten nach Afrika´; den gezielten Aufbau von Wertschöpfung vor Ort; die Einhaltung von internationalen Umwelt- und Sozialstandards; die Austrocknung internationaler Steueroasen; den Stopp von illegalen Finanzströmen aus Afrika. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass die „EU (…) mit dem Post Cotonou Prozess die einmalige Chance (hat), ihre Afrikapolitik ab 2020 institutionell und vertraglich neu auszurichten. Er bietet auch das Potential, die handelsrechtlichen Beziehungen zu Afrika ambitioniert weiterzuentwickeln"1.

Anders als das BMZ selbst zieht der RNE Konsequenzen aus der Forderung der Entwicklung vom Freihandel zum Fairhandel: „Diesen Ansatz der ambitionierten Weiterentwicklung der handelsrechtlichen Beziehungen zu Afrika halten wir für richtig. Ausgehend hiervon sollte auch eine neue Position zu den WPAs der EU mit afrikanischen Ländern bezogen werden. Neben allen berechtigten Kritikpunkten an diesen Abkommen muss festgestellt werden, dass trotz langwieriger Verhandlungen bisher in fast allen afrikanischen Regionen keine abschließenden Ratifikationen der EPAs erfolgt sind. Das Auslaufen des Cotonou-Abkommens im Jahr 2020 und die gegenwärtig anlaufenden Diskussionen um das Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission für ein Nachfolgeabkommen bieten die Gelegenheit zur Neujustierung der Handelsbeziehungen, aufbauend auf den Werten der Agenda 2030. Auf der Grundlage eines neuen besseren Rahmenabkommens könnten die Verhandlungen dann neu starten – auf Augenhöhe mit den afrikanischen Partnern.“

Des Weiteren empfehlt der RNE eine Unterstützung der CFTA: „Die G20-Staaten sollten der Afrikanischen Union zusichern, sie bei der Entwicklung der Continental Free Trade Area (CFTA) zu unterstützen.“

Darüber hinaus plädiert der RNE für eine Verbindung der EBA-Initiative mit dem AGOA (African Growth and Opportunity Act) der USA, um den Marktzugang afrikanischer Staaten in allen G20-Staaten zu verbessern: „Der AGOA-Vertrag, der bis 2025 verlängert wurde, umfasst auch andere afrikanische Länder [als die EBA-Initiative (Anm.d.Red)] und ermöglicht ihnen für bestimmte Produkte quoten- und zollfreie Importe in die USA.“

„Einfache und großzügige Ursprungsregeln sind notwendig, damit afrikanische Unternehmen überhaupt den bevorzugten Marktzugang nutzen können. Afrikanische Unternehmen brauchen Unterstützung beim Aufbau von Handelskapazitäten.“

„Die Regierungen der G20 könnten ihre allgemeinen Präferenzsysteme um zusätzliche Präferenzen für nachhaltige Produkte erweitern. So könnte ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, Produkte für den Export sozial und ökologisch nachhaltig herzustellen. Hier liegt zudem ein weiteres Handlungsfeld für die Welthandelsorganisation. Eine Unterscheidung in Produkte und Produktionsprozesse erscheint unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten problematisch. Mindestens sollten die G20 für alle lower middle income countries[Niedrigeinkommensländer (Anm.d. Red.)]den gleichen Marktzugang ermöglichen, wie ihn die EU für die least developed countries beschlossen hat. Dies ist eine Forderung der Beratungen der Welthandelsorganisation, die beschlossen, aber bisher nicht umgesetzt worden ist.“

Aus diesen Empfehlungen für die G20-Länder ergeben sich folgende Konsequenzen für die Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika:

Die Interimsabkommen mit Ghana, der Elfenbeinküste und Kamerun konterkariert alle Bemühungen um Regionalintegration. Sie müssen ausgesetzt werden.

Allen middle income countries Afrikas einschließlich des Östlichen und Südlichen Afrikas sollte der gleiche Marktzugang gewährt werden , wie ihn die EU für die least developed countries beschlossen hat.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Post-Cotonou-Verhandlungen für ein ambitioniertes Rahmenabkommen zu nutzen, auf dessen Grundlage die Verhandlungen im Jahr 2020 neu starten könnten. Damit diese auf gleicher Augenhöhe mit den afrikanischen Partnern stattfinden können, sind die Voraussetzungen nach Artikel 37,3 des Cotonou-Abkommens zu erfüllen.

Ein nach diesem Zeitplan und dieser Logik umgesetztes Rahmenabkommen würde nicht nur die EU-Afrika-Handelsbeziehungen ein Stück gerechter gestalten, sondern auch die EU-Afrika-Beziehungen im Allgemeinen und die der gegeneinander ausgespielten Beziehungen afrikanischer Länder und Regionen untereinander heilen, welche durch die WPAs einer Bewährungsprobe ausgesetzt sind.

Zum Autor:

Im Mai diesen Jahres sprach der Verfasser auf Einladung der Arbeitsstelle Eine Welt in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen und der Attac–Regionalgruppe Dresden über die EU–Freihandelspolitik und darüber, wie sich afrikanische Gesellschaften dagegen wehren. Dr. Boniface Mabanza wurde in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Er studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Heute koordiniert er die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.

Er stellte uns den hier leicht gekürzten Überblick und Einblick in die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika zur Verfügung

Anmerkungen der Redaktion:

(1) Von den 49 Ländern Subsahara-Afrikas haben unter der „Alles außer Waffen“ - Initiative (Everything But Arms – EBA) die am schwächsten entwickelten Länder (Least Developed Countries - LDC) einen quoten- und zollfreien Zugang zum EU-Markt, während dies umgekehrt für die Importe aus der EU nicht gilt.

(2) Der Marktzugang dieser Länder in die EU wird nach dem Allgemeinen Präferenzsystem (Generalised System of Preferences – GSP) besonders geregelt.

(3) Das Cotonou-Abkommen trat als völkerrechtlicher Vertrag zwischen der EU und den AKP-Staaten (siehe 4) im Bereich Handels- und Entwicklungspolitik 2002 in Kraft. Es läuft 2020 aus.

(4) Zur AKP–Gruppe gehören Länder in Afrika, der Karibik und dem Pazifik, die zumeist Kolonien Frankreichs und Großbritaniens waren.

1 Rat für Nachhaltige Entwicklung, Für eine umfassende G20- Für eine umfassende G20-Partnerschaft mit Afrika Partnerschaft mit Afrika Partnerschaft mit Afrika zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen Vereinten Nationen. Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregierung, März 2017 , S. 6. http://nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/user_upload/dokumente/empfehlungen/2017/20170328_RNE_Empfehlung_G20_und_Partnerschaft_mit_Afrika.pdf

Ein Gespräch zwischen Uwe Schnabel (Redakteur fairquer) und Claudia Greifenhahn (Geschäftsführerin des Weltladens aha - anders handeln in Dresden):

In drei Artikeln der vorangegangenen fairquer (Nr. 37) wurden sowohl positive Entwicklungen des Fairen Handels aufgezeigt, als auch viele Probleme genannt, für die keine Lösungen beschrieben wurden. Uwe hat dazu weiterführende Ideen, um die es in dem Gespräch gehen soll.

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