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Transkulturelle Kompetenz als Schlüsselkompetenz in der Entwicklungszusammenarbeit?

geschrieben von  Jamila Al-Yousef und Annie Sauerland Mai 21, 2015

„Schicken Sie uns Menschen, die selber ausreichend entwickelt sind, um Ihre Fähigkeiten und Schwächen zu kennen, ausrei-chend entwickelt sind, um zu wissen, was sie von uns lernen können, um es nach Europa zurückzubringen. Denn es werden diejenigen sein, die respektieren können und die wir respektie-ren werden.“ (Paulos Daffa).

Diese Aussage des äthiopischen Politologen und Ethnologen Paulos Daffa macht eine der zentralen Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) deutlich: Die Forderung nach kompetenten ExpertInnen, die respektvoll und selbstreflektiert in der „fremden“ Kultur agieren können. Der Paradigmenwechsel in der EZ unter dem Motto „Listening to the Voices of the Poor“, wie es Deepa Narayan beschreibt, wurde durch die enttäuschenden Ergebnisse entwicklungspolitischer Interventionen ausgelöst. Als Konsequenz folgte diesem Wechsel von der Rolle der ExpertInnen als „BesserwisserInnen“ in die der ExpertenInnen als „ZuhörerInnen“ eine erneute Rückbesinnung auf die kulturelle Einbettung aller Entwicklungsprozesse.

Interkulturelle Kompetenz - Kulturen die sich voneinander abgrenzen, haben wenige Anknüpfungspunkte

Um den Herausforderungen bei der Arbeit in Projekten der EZ zu begegnen, werden von ExpertInnen der Entsendeorganisationen Seminare und Trainings angeboten, in denen Interkulturelle Kompetenz erworben werden kann. Alex Sutter bemerkt hierzu, dass sich seit den 1990er-Jahren in Westeuropa ein Dienstleistungsmarkt für Interkulturelle Kompetenz entwickelt habe.

Schauen wir genauer auf Modelle Interkultureller Kompetenz: Diese basieren oft auf einem Kulturverständnis, welches Kulturen als eigenständige, geschlossene Blöcke sieht, die sich voneinander abgrenzen. Wolfgang Welsch, Professor für theoretische Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, kritisiert diese Modelle und beschreibt das Konzept der Transkulturalität. Dieses grenzt sich von dem traditionellen, von J. G. Herder geprägten Kulturbegriff prägnant ab. Herder charakterisierte Kultur durch ethnische Fundierung, soziale Homogenisierung und Abgrenzung nach außen. Welsch bezeichnet Herders Kulturbegriff daher als homogenisierend, daes impliziere, dass die Taten des Individuums, aber auch jedes Objekt, ein Beispiel genau dieser Kultur seien. Kultur werde zudem als volksgebunden betrachtet und sei somit separatistisch, da jedes Volk eine Kultur habe, welche sich von den Kulturen anderer Völker unterscheiden solle. Welsch kritisiert diesen Ansatz vehement und hält ihn für inakzeptabel: „Moderne Gesellschaften sind in sich so hochgradig differenziert, daß von einer Einheitlichkeit der Lebensformen nicht mehr die Rede sein kann. Das traditionelle Kulturkonzept ist unfähig, den aktuellen binnenkulturellen Differenzierungen (wie etwa durch Migration) gerecht zu werden, etwa den Unterschieden von regional, sozial und funktional divergierenden Kulturen, von hoher und niedriger, leitender und alternativen Kultur - von den Besonderheiten einer wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen oder religiösen Kultur ganz zu schweigen.”

Doch welche Kompetenzen brauchen ExpertInnen in der EZ? Kann im Hinblick auf die veränderte Beschaffenheit heutiger Kulturmodelle Interkulturelle Kompetenz noch als Schlüsselkompetenz für erfolgreiche Zusammenarbeit in der EZ bezeichnet werden?

Hybride Kulturen, hybride Individuen

„Wie kann von der indischen Küche als etwas für die ethnische Tradition des asiatischen Subkontinents Typischen gesprochen werden, wenn ein indisches Restaurant, im Zentrum jeder britischen Stadt, ob groß oder klein, zu finden ist?“ (Stuart Hall)

Heutige Kulturen sind auf den Ebenen „Bevölkerung“, „Handelsgüter“ und „Informationen“ hybridisiert, d.h. es entsteht eine Kombination aus ambivalenten kulturellen Mustern unterschiedlicher Herkunft, die teilweise miteinander konkurrieren und so neue Produkte hervorbringen. Dies bedeutet, dass es sich um „unreine“ kulturelle Formen handelt, die jedoch trotzdem nach wie vor als rein und einheitlich präsentiert werden. Transkulturalität ist eine Konsequenz der Differenzierung und Komplexität moderner Kulturen, denn sie umfasst eine große, sich gegenseitig beeinflussende Vielfalt von Lebensformen. Bestimmte Lebensstile lassen sich nicht mehr Nationalitäten zuordnen; sie sind durch Migrationsprozesse und globale materielle, immaterielle (kommunikative) und ökonomische Austauschsysteme auch nicht mehr kulturgebunden, wie Wolfgang Welsch beschreibt. Dies lasse sich laut Welsch an folgendem Beispiel auf dem Makro-Level ausmachen: Gleiche, kulturelle Strömungen, wie zum Beispiel die Frauenbewegung oder der Ökotrend, sind in ähnlicher Form in verschiedenen Kulturen anzutreffen. In vielen Ländern leben Menschen anderer Nationen; die globalisierte Wirtschaft hat die Verfügbarkeit von Waren überall homogenisiert und weltweite Kommunikationsnetze machen Informationen orts- und zeitunabhängig disponibel.

Daher gebe es, so Welsch, nichts mehr, was wirklich fremd ist und nicht erreicht werden kann. Dies lässt darauf schließen, dass es nun auch nichts mehr gibt, dass exklusiv „etwas Eigenes“ ist.

Die Ebene des Individuums und der Bildung seiner (kulturellen) Identität bezeichnete Welsch als das Mikro-Level, auf dem Transkulturalität zum Ausdruck kommt. Auch hier findet die Hybridisierung statt: Individuen werden immer mehr von Individuen beeinflusst, die von anderen Orten stammen und bilden ihre kulturelle Identität, beeinflusst von den unterschiedlichsten Kulturen. Laut Hall entstehen so überall kulturelle Identitäten, die nicht fixiert sind. Zur gleichen Zeit wird auf verschiedene kulturelle Traditionen zurückgegriffen. Das Resultat dessen sind komplizierte Kreuzungen und kulturelle Verbindungen, die in wachsendem Maße in einer globalisierten Welt üblich werden. Welsch plädiert dafür, eine Unterscheidung zwischen nationaler und kultureller Identität vorzunehmen, sodass Kultur als spezifisches, individuelles Kennzeichen eines Menschen das Konzept einer allumfassenden Volkskultur ablösen wird. Mehr und mehr müsse das Individuum dann aber auch Integrationsarbeit leisten, um Einflüsse aus unterschiedlichen Kulturen zu seiner Identität zu formen.

Durch Selbstreflexion zur Transkulturalität

Langfristig kann nur die Fähigkeit, „to transculturally cross over“, wie Hall es formulierte, Identität und Kompetenz garantieren. Dafür, so Welsch, ist es notwendig für das Individuum die eigene, innerer Transkulturalität zu erkennen, um mit der äußeren Transkulturalität umgehen und das äußere Fremde akakzeptieren zu können. Dieser Prozess der Akzeptanz und damit die Entwicklung eines Bewusstseins für die eigene Transkulturalität bilden also die Voraussetzung für eine gesellschaftliche Transkulturalität.

Ist Transkulturalität und deren Konzept der Transkulturellen Kompetenz somit die Alternative zu Interkultureller Kompetenz, die sich durch das beharren auf homogenisierenden und separierenden Kulturbegriffen als nicht zeitgemäße Kompetenz disqualifiziert?

Transkulturelle Kompetenz

Die Ethnologin Roost Vischer, Lehrbeauftragte für Angewandte Ethnologie an der Universität Basel und projektbezogene Mitarbeiterin von „Integration Basel“, definierte Transkulturelle Kompetenz wie folgt: „Transkulturelle Kompetenz bedeutet, mit einem soziokulturell heterogenen Umfeld umgehen zu können und gleichzeitig das Individuum in den Vordergrund zu stellen.“

Dagmar Domenig, die über transkulturelle Kompetenzen in Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen geschrieben hat, definiert Transkulturelle Kompetenz als die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in besonderen Situationen und unterschiedlichen Kontexten zu erfassen und zu verstehen sowie entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten. Domenig skizzierte ein Modell der Transkulturellen Kompetenz, das auf drei Säulen aufgebaut ist: „Selbstreflexion“, „Hintergrundwissen und Erfahrung“ sowie „narrative Empathie“. Was in Bezug auf die Pflege von MigrantInnen konzipiert wurde, soll hier versuchsweise auf das interdisziplinäre Handlungsfeld Kulturschaffender in der EZ übertragen und gegebenenfalls erweitert werden.


Dies ist ein Auszug aus dem Text „Von PeacePeace Gutmenschenbrillen und dem anstrengendem Weg der kulturellen Selbstreflexion – eine Konfrontation mit Transkulturalität“ von Jamila Al-Yousef und Annie Sauerland. Aus Platzgründen konnten wir leider nicht den gesamten Text abdrucken. Wir empfehlen herzlich, die ungekürzte Fassung zu lesen: http://www.einewelt-sachsen.de/publikationen/fairquer

 

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