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Sachbücher Stichwort: Systemwandel statt Klimawandel

geschrieben von  Friedrich Brachmann Sep 23, 2016

Der Pariser Klimagipfel im Dezember 2015 hat sich zu einer Reduzierung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius bekannt. Ist dieses Ziel im globalisierten Kapitalismus zu erreichen oder braucht es dessen Überwindung? Die in Paris beteiligten 195 Staaten, deren Zivilgesellschaften und Nichtregierungsorganisationen sind sich darüber keineswegs einig. Manche Sachbücher liefern wesentlich eindeutigere Argumente.

 

Naomi Klein

Die Entscheidung

Kapitalismus vs. Klima

S. Fischer, 2015

 

Strategien, die auf die Wirkungen der Marktmechanismen setzen, erweisen sich als ungeeignet und kontraproduktiv, um der Klimakrise zu begegnen. So lautet eine wichtige Botschaft der kanadischen Autorin Naomi Klein, die sie in ihrer umfangreichen Recherche „Die Entscheidung Kapitalismus vs. Klima“ begründet. Zahlreiche Schauplätze des Widerstandes gegen hochriskante extreme Formen der Rohstoffförderung hat die Autorin besucht und Interviews geführt. Sie entdeckt ein globales Basisnetzwerk auf breiter Grundlage, wie es die Umweltbewegung selten gesehen hat. Sie beschreibt die Kämpfe zur Verhinderung immer neuer, immer größerer und gefährlicherer Industrieprojekte. So entstand in den Protesten gegen die „Keystone XL Pipeline“, jenem System von Rohrleitungen, das von den Teersandlagerstätten im kanadischen Alberta bis zu den Terminals am Golf von Mexiko führen sollte, eine Bewegung namens „Blockadia“. Diese richtet sich gegen neue Fördertechnologien wie Ölsandtagebaue und Fracking-Bohrungen ebenso wie gegen die Enteignung von Naturflächen, die die Lebensgrundlage für die angestammten Bewohner*innen bilden. Aus anderen Kontinenten beschreibt die Autorin ähnliche Konflikte. Manche erregten in der Vergangenheit weltweit Aufmerksamkeit. So der Kampf gegen die Umweltverbrechen von Shell im Niger-Delta, der den Aktivisten Ken Saro-Wiwa das Leben kostete. Aus Europa berichtet Klein vom Aufstand gegen den Gold- und Kupfertagebau im griechischen Skouris-Wald sowie von den Bauernprotesten gegen die Schiefergasexploration in Pungesti/Rumänien. Auch hier zeigt sich: Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels sind die gleichen wie jene zur Durchsetzung der Grundrechte der Armen. Solche Erkenntnisse lassen entwicklungspolitisch Interessierte aufhorchen.Gerade indigene Völker haben einen legitimen Anspruch auf ihr Land und die Quellen für ihren Lebensunterhalt. Darum kämpfen in Kanada viele der „First Nations“ gegenwärtig vor Gericht. Sie verstehen sich als Teil der Erde. Mit ihrer Spiritualität verleihen sie der Bewegung eine Dimension der Tiefe. Es geht darum, „dass jeder Versuch, gegen die Erderwärmung vorzugehen, fruchtlos ist, wenn er nicht als Bestandteil einer größeren Auseinandersetzung um Weltanschauungen verstanden wird, als Prozess der Neuformulierung und Neuerfindung des Kollektiven, Kommunalen, der Allmende.“ (553) „Systemwandel statt Klimawandel“ (193) lautet die Parole. Es reicht längst nicht, „unser heutiges wachstumsbasiertes Wirtschaftsmodell grün anzustreichen“. (111)

 

Kathrin Hartmann

Aus kontrolliertem Raubbau

Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren

Blessing, 2015

 

Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren. Genau das illustriert Kathrin Hartmann in ihrem faktenreichen und desillusionierendem Bericht „Aus kontrolliertem Raubbau“. Auf ihrer Reise durch die Green Economy in den Ländern des Südens (Indonesien, Bangladesh, El Salvador) erlebt sie immer wieder, wie „alle Versuche, destruktive Techniken und Rohstoffe durch 'nachhaltigere' zu ersetzen … krachend gescheitert“ sind (17). So hat die fatale Idee, Lebensmittel zur Energiegewinnung zu verbrennen, den Hunger verschärft. Außerdem „verursacht ein Liter Biodiesel aus Palmöl 800- bis 2000-mal mehr Treibhausgase als ein Liter Diesel aus Erdöl“, wenn man das Abbrennen der Regenwälder und die Zerstörung der Torfmoore einbezieht, die den Palmölplantagen weichen mussten. (60) Hartmann klärt über Zertifizierungspraktiken auf. Globale Akteure im grünen Mäntelchen wie die Konzerne Wilmar und Monsanto eignen sich die Lebensgrundlagen der Indigenen an. Unterstützt werden sie von der Weltbank, der Bill & Melinda Gates Foundation und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Auch willfährige Nichtregierungsorganisationen wie der WWF legitimieren das Handeln dieser Unternehmen am gemeinsamen Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO). Das RSPO-Siegel sagt aber nichts über die Herstellungsbedingungen von Palmöl aus. Auch das Naturland-Biosiegel für Garnelen lässt nichts aus der „Shrimpshölle von Bangladesh“ (217) erahnen, weder über das verborgene Leben der Arbeiter*innen in Dreck, Gift und Hunger, noch über die gerodeten Regenwälder, die einst der vergleichsweise idyllische Lebensraum waren. Das Siegel auf der Tütensuppe dient bestenfalls der Beruhigung der Konsument*innen am Ende der Lieferkette Beziehunsgweise dem Image des Konzerns. Die Autorin bringt auch Erfahrungen widerständiger Landloser, gewerkschaftlich organisierter Kleinbauer*innen und von Frauen einer Nähkooperative in El Salvador zur Sprache. Diese zeigen, dass sich soziale und ökologische Fragen nicht getrennt voneinander lösen lassen sondern sich zu einer substantiellen Systemkritik auch am grünen Kapitalismus verbinden.

 

Hans Joachim Schellnhuber

Selbstverbrennung

Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff

C. Bertelsmann, 2015

 

Noch vor dem Klimagipfel in Paris erschien das von dem weltbekannten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber als große Geschichte erzählte planetarische Drama „Selbstverbrennung“. Als Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Professor für Theoretische Physik gewährt er auch für den Laien verständliche Einblicke in sein Fach und darüber, was sich dort in den letzten Jahren getan hat. Er beschreibt globale ökologische Kreisläufe, ihr komplexes Zusammenspiel und was sich mit neuester Technik über deren Belastungsgrenzen prognostizieren lässt („Kippelemente im Erdgetriebe“, Kap. 21). Dabei stellt er als Naturwissenschaftler Verbindungen zu anderen Disziplinen her, in denen man sich nur ebenso kompetente, über ihr Fachgebiet hinaus offene und für die Zukunft der Menschheit verantwortungsbewusste Partner*innen wünschen kann. Die Geogeschichte der Erde wurde erst in unserer Generation weitgehend aufgeklärt. Von ihr profitieren wir meist unbewusst. Wer denkt schon daran, dass sich in einem Liter Benzin etwa 20 Tonnen ursprünglicher Biomasse verdichten? Auch das „Klima als Geschichtsmacht“ (Kap. 13) erhellt bemerkenswerte Zusammenhänge. So kam es zwischen 1876 und 1902 durch extrem starke El-Ninio-Ereignisse zu mehreren Dürreperioden von China über Indien und Äthiopien bis nach Brasilien. Die durch Missernten, Hungersnöte und Epidemien geschwächten Regionen mussten sich widerstandslos den Kolonialmächten und ihrem gestiegenen Nahrungsmittelbedarf in Europa unterwerfen. Etwa 50 Millionen Menschen fielen dieser fatalen Komplizenschaft zwischen Klima und Politik zum Opfer. Schellnhuber würdigt hier Mike Davis, der diese folgenschwere Verbindung schonungslos ans Licht brachte („Die Geburt der Dritten Welt“, Davis 2004): „Wer dieses Buch gelesen hat, kann den naiven Glücksverheißungen der modernen Globalisierungsprediger einfach keinen Glauben mehr schenken.“ (270) Darauf käme man auch nicht, wenn Schellnhuber von Klimagipfeln berichtet, was sich vor und hinter den Kulissen abspielt: „Klimapalaver“ (Kap. 5). Die unbequemen Wahrheiten der Klimaforschung wirken auf Lobbyist*innen der Öl- und Autoindustrie wie eine Bedrohung ihrer allgemeinen Bereicherungsfreiheit. Schellnhuber fordert einen „Klimaschutz als Weltbürgerbewegung“ (Kap. 28), denn zur möglichst schnellen Entfernung der fossilen Energiequellen aus dem Stoffwechsel der Spätmoderne gibt es keine Alternative. „Die Menschheit ist unter größten Mühen, Verlusten und Kollateralschäden in eine Stellung vorgerückt, welche möglicherweise all die Opfer nicht wert war, die sich vor allem aber nicht halten lässt.“ (18) Nur wenn der Systemwandel politisch und wirtschaftlich gelingt, wird das Zeitalter unserer Zivilisation nicht schon nach den bisher wenigen Jahrtausenden zu Ende sein.

 

 

Letzte Änderung am Donnerstag, 20 Oktober 2016 13:25

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