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Ein Label macht noch keine fairen Kleider

geschrieben von  Dr. Bettina Musiolek Sep 23, 2016

Mit dem Fairtrade-Textilstandard sollen ab 2016 einzelne Lieferketten zertifiziert und fertige Kleidungsstücke als „Fairtrade“ gekennzeichnet werden. Das hört sich sehr attraktiv an. Doch ist ein Produktlabel wirklich das richtige Instrument auf dem Weg zu Existenzlöhnen und besseren Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie? Nein, findet die Clean Clothes Campaign (CCC).

Die Textilindustrie ist eine der am meisten globalisierten Branchen mit äußerst komplexen Wertschöpfungsketten. Globale Überproduktion und Verdrängungswettbewerb, intransparente Lieferwege sowie massiver Preis- und Lieferdruck führen in der ganzen Branche systemisch zu Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen. Der Rana Plaza-Fabrikeinsturz hat der Welt vor Augen geführt, was passieren kann, wenn das Fast-Fashion-Geschäftsmodell dominiert und eine Industrie damit über Jahre ausgehöhlt wird. Seit diesem Desaster sind die schlechten Arbeitsbedingungen und die viel zu tiefen Löhne weit oben auf der Agenda verschiedener Akteure. Sowohl die Internationale Arbeitsorganisation der UN (ILO) wie auch die OECD oder die Regierungen von Deutschland und Niederlande haben dazu vertiefte Arbeiten aufgenommen. Die Chance, echte branchenweite Fortschritte zu erzielen, ist real vorhanden. Doch dazu braucht es ein Umdenken in der Art und Weise, wie der globale Kleiderhandel organisiert wird. Die sehr ungleiche Verteilung der Wertschöpfung entlang der Produktionskette, die Auslagerung von Risiken und Verantwortung durch die Markenfirmen und der riesige Druck auf Produktionsländer, Mindestlöhne investitionsfreundlich (also meist weit unter dem Existenzminimum) anzusetzen, gehören zu den Hauptursachen für die schlimmen Bedingungen in der Produktion. Um diese zu ändern, sind sektorweite Anstrengungen nötig, und die Markenfirmen müssen Verantwortung für ihre gesamte Geschäftstätigkeit übernehmen.

Mit einem Textillabel will Fairtrade International nun ab 2016 einzelne Lieferketten überprüfen und fertige Kleidungsstücke als „Fairtrade“ kennzeichnen. Fairtrade arbeitet mit Produktelabeln: Anders als etwa bei der Fair Wear Foundation, wo sich ein Unternehmen für Verbesserungsarbeit entlang aller Lieferketten verpflichten muss, werden bei Fairtrade nur ausgewählte Produkte kontrolliert. Außerdem sind nicht alle Branchen gleich gut geeignet für ein Fairtrade-Produktelabel. Ein solches Label kann am ehesten bei nicht verarbeiteten Produkten funktionieren, die direkt eingekauft werden. Bezieht also ein Einzelhändler direkt bei der Produzentin Bananen, kann das Fairtrade-System zu besseren Bedingungen für die Bauern und Bäuerinnen beitragen. Bei Branchen mit komplexen Lieferketten, vielen Verarbeitungsschritten und indirektem Einkauf via viele Zwischenstationen – wie eben zum Beispiel die Bekleidungsindustrie – ist dies jedoch viel schwieriger. Das glaubwürdige Kontrollieren der Einhaltung von Label-Kriterien wird dann sehr zeitaufwändig und kostenintensiv; die Umsetzung kann bereits an der Finanzierbarkeit von solch umfassenden Kontrollen scheitern. Zudem steht dieser „Policing“-Ansatz zur Umsetzung von Menschenrechten in Lieferketten in der internationalen Kritik.

 „Fairtrade“ ohne Existenzlohn

Im Vorfeld zur Standardentwicklung hat Fairtrade International mehrere Konsultationsrunden durchgeführt, an denen sich auch die Clean Clothes Campaign (CCC) beteiligt hat. Sie hat sich insbesondere mehrfach zum Thema der existenzsichernden Löhne im Textilstandard geäußert. So sieht der Standard zwar vor, dass ein Existenzlohn bezahlt werden soll, doch die genaue Höhe dieses Lohnes ist bisher nicht klar. Umsetzung und Kontrolle bleiben fraglich und Kleider sollen in einer Übergangszeit von sechs Jahren bereits als „Fairtrade“ bezeichnet werden dürfen, bevor effektiv ein Existenzlohn bezahlt wird. Jedes Fairtrade-Kleidungsstück wird eine in einem Etikett eine Erklärung aufweisen, die die Einhaltung von Menschenrechten postuliert, obgleich kein Existenzlohn gezahlt wird. Dies ist aus Sicht der CCC absolut inakzeptabel. Dieses Vorgehen ist gegenüber den Fabrikarbeiterinnen und -arbeitern unverantwortlich, ermöglicht ungerechtfertigte Marketingvorteile der teilnehmenden Firmen und ist irreführend für die Konsumentinnen und Konsumenten.

Gefahr von „white-washing“

Markenfirmen stehen spätestens seit dem Rana-Plaza-Fabrikeinsturz unter Druck, sich für verbesserte Arbeitsbedingungen und höhere Löhne einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Ein Produktelabel-Ansatz, der ihnen erlaubt, einzelne Premium-Linien marketingwirksam hervorzuheben, anstatt für alle unter der Marke produzierten Waren Verantwortung zu übernehmen, ist ein bequemer Ausweg. Fairtrade International müsste zumindest verbindliche Gegenmaßnahmen zur Verhinderung eines solchen „white washings“ vorsehen, zum Beispiel ein Mindestvolumen und eine progressive Steigerung für nach den Fairtrade-Kriterien hergestellte Kleider vorschreiben sowie strikte Kommunikationsvorschriften zur Verwendung des Produktelabels integrieren, die nicht zulassen, dass einzelne Premium-Linien als Nachhaltigkeitsengagement eines ganzen Konzerns herausgestrichen werden. Fairtrade International sollte zudem sicherstellen, dass das Label an kein Unternehmen vergeben wird, das durch fehlendes Engagement bei der Behebung von Menschenrechtsverletzungen auffällt.

Kontrollen, die zu kurz greifen

Die Einhaltung des Fairtrade-Textilstandards soll durch Kontrollen (Audits) der faitrade-eigenen Auditstelle FLOCERT gewährleistet werden. Beispiele aus der Textilindustrie zeigen seit vielen Jahren, dass Audits vor allem in Industrien mit komplexen Lieferketten absolut nicht ausreichen, um Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen adäquat zu erfassen und zu beheben. Audits sind immer nur Momentaufnahmen und können gerade im Bereich von Arbeitsbedingungen keine Garantien zur Einhaltung der grundlegenden Arbeits- und Menschenrechte geben – sie vermitteln oft eine falsche Sicherheit, und prekäre Zustände werden schlimmstenfalls verschleiert statt behoben. Da meist Lieferanten die Audits bezahlen, wird damit die Verantwortung auf sie abgewälzt. Besser als isolierte Audits wären daher Anstrengungen in Richtung verbindlicher, überprüfbarer, transparenter und einklagbarer Abkommen zwischen Gewerkschaften und globalen Markenfirmen, um sektorweite Verbesserungen zu erzielen. Denn Gewerkschaftsrechte sind ein Grundpfeiler, um Arbeitsbedingungen auch in globalen Produktionsketten zu verbessern. Zwar sieht der Standard eine Einbindung von Gewerkschaften vor, gleichzeitig bleiben aber viele Konkretisierungsfragen offen.

Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich darauf verlassen können, dass in einem Label drinsteckt, was draufsteht. Beim Fairtrade-Textilstandard befürchtet die Clean Clothes Campaign, dass dies nicht der Fall sein wird, und dass das Label Fortschritte im Modegeschäft gar eher hemmt als befördert.

 

Statement der CCC:

http://www.cleanclothes.org/news/2016/06/29/fairtrade-textile-standard-falls-short-on-living-wage-guarantees

Letzte Änderung am Donnerstag, 20 Oktober 2016 13:15

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