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Superreich dank Billigmode Empfehlung

geschrieben von  Dr. Christa Luginbühl Nov 15, 2017

Rund 60 Millionen Menschen, überwiegend Frauen, arbeiten in Textil-, Kleider und Schuhfabriken weltweit. Der Sektor ist ein wichtiger Arbeitgeber, und viele Unternehmen und Regierungen unterstreichen, dass dank der Textilindustrie Millionen von Frauen der Zugang in den formalen Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Doch die Näherinnen in den Fabriken zahlen einen hohen Preis – auch in Europa.

Stefan Persson, H&M-Hauptaktionäre und mit einem geschätzten Privatvermögen von 19.6 Milliarden USD in den Top50 der weltweit reichsten Personen, erhielt 2014 einen Preis1 für den „ausserordentlichen Einsatz für Frauenförderung“. Preisverleihung sagte er: „Durch die Investition in die wirtschaftliche Ermächtigung von Frauen können wir helfen, das Leben von Einzelpersonen und Familien zu verändern, wir können Armut bekämpfen und positive Entwicklung für ganze Gemeinschaften bringen." Das sind schöne Worte, doch die Realität sieht anders aus: H&M, wie alle anderen Modefirmen, investieren da, wo die Produktionsflexibilität hoch, die politischen Rahmenbedingungen ökonomisch interessant und die Lohnkosten tief sind. Obwohl wir technische Fortschritte erleben, werden Kleidern und Schuhen noch immer hauptsächlich von Hand gemacht. Für die reibungslose Produktion sind Modefirmen daher auf Millionen von Frauen angewiesen, die in ihren Zulieferfabriken schuften – Männer sind in vielen Ländern längst in die etwas besser bezahlten Jobs der Tieflohnbranchen weitergezogen.

Armut trotz langer Arbeitstage

Die Kleider und Schuhe in europäischen Läden stammen vorwiegend aus asiatischen, aber auch aus süd-osteuropäischen Ländern. Denn gerade für den Fast Fashion-Bereich, dessen Takt H&M in hohem Maß vorgibt und in kurzen Zeitintervallen neue Kleider in die Läden bringt, sind kurze Lieferwege zwischen Produktion und Absatzmarkt entscheidend. In einer Recherche haben wir 2014 aufgezeigt, wie prekär die Arbeitsbedingungen für Näherinnen in Bulgarien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Kroatien, Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Slowakei, Türkei und Ukraine sind.2 2016 haben wir die Situation im Schuhsektor untersucht und in Albanien, Bosnien und Herzegowina und Mazedonien sowie in den drei EU-Mitgliedländern Polen, Rumänien und der Slowakei mit zahlreichen Arbeiterinnen gesprochen.3 Die Geschichten der Frauen gleichen sich überall: Sie erzählen von ermüdenden Arbeitstagen, von schlechter Behandlung am Arbeitsplatz, von verbalen und teilweise sexuellen Übergriffen, von gesundheitsgefährdenden Bedingungen wie Kälte im Winter, weil die Heizung im Fabrikgebäude nicht läuft, um Stromkosten zu sparen, oder von Hitze im Sommer, weil es keine ausreichende Belüftung gibt. Vor allem aber berichten sie von enormer Armut, und von der Schwierigkeit, trotz Arbeit in der Fabrik die täglichen Ausgaben zu bestreiten. Wie dramatisch tief ihre Einkommen sind, zeigt ein Vergleich der Kaufkraft:

Grafik1: Wie Wie lange muss eine Näherin arbeiten, um in ihrem Land 1 Liter Milch zu kaufen?4

Die tiefen Löhne sind ein systematisches Problem in der Kleider- und Schuhindustrie. Was wir von Asien her längst kennen, zeigt sich auch in Europa: Die Kluft zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und dem geschätzten Existenzlohn ist durchwegs sehr hoch:

 

Grafik 2: Welcher Anteil eines Existenzlohnes wird durch den gesetzlichen Mindestlohn abgedeckt?5

 

Ohne existenzsicherndes Einkommen sind allem voran Frauen im Kampf ums Überleben ihrer Familien in Doppel- und Mehrfachbelastungen gefangen: sie arbeiten Überzeit, suchen Rabattwaren und reduzieren die tägliche Ausgaben auf ein Minimum, haben weder Freizeit noch Ferien, betreiben Subsistenzlandwirtschaft, müssen Kredite aufnehmen oder saisonale Tieflohnjobs im Bau- oder Landwirtschaftssektor in Westeuropa annehmen. Durch den Emigrationsdruck der jüngeren Generation und den oft unzureichenden Sozial- und Krankenkassensystemen zeichnet sich zudem in vielen Ländern Südosteuropas ein gewaltiges Care Defizit ab, was den Druck auf die Frauen noch erhöht.

Tiefe Löhne als Investorenanreiz

In der Bekleidungsindustrie herrscht ein harter Wettbewerb, gespart wird wo es geht. In den untersuchten Schuhproduktionsländern fanden wir zum Beispiel folgende Anreizsysteme, um Investoren anzulocken:

  • Freihandelszonen, die exportorientierten Unternehmen Steuererleichterungen oder Spezialsubventionen zugestehen (von den untersuchten Ländern besonders in Albanien ausgeprägt)

  • EU Freihandels-Abkommen, u.a. Zollerleichterungen für Produkte, die im Outward Processing Trade System hergestellt werden (halbfertige Produkte werden ins Ausland geliefert, der arbeitsintensive Prozess findet in einem Tieflohnland statt, bei der Wiedereinfuhr ins Ursprungsland fallen keine oder kaum Zollkosten an. Betrifft alle untersuchten Länder)

  • Restriktionen im Bereich der Lohnentwicklung als Bedingung für die Bewilligung von Darlehen desInternationalen Wäh-rungsfondsund der Europäischen Kommission (z.B.in Rumänien)

  • Direkte Interventionen der Regierung in die Mindestlohnentwicklung, z.B. Ausnahmeregelung vom allgemeinen Mindestlohn für spezifische Sektoren wie Bekleidungs- und Schuhindustrie, um Investoren anzulocken und „wettbewerbsfähig“ zu sein (Mazedonien, Bosnien-Herzogowina)

Aktionäre wie Stefan Persson oder Amancio Ortega, der Hauptaktionär der spanischen Inditex Gruppe (u.a. Zara), sind aber nicht nur Investoren, sie haben sich mit ihrer Geschäftstätigkeit auch sagenhafte Vermögen angehäuft. Dieses Vermögen hat sich seit 2008, also während und nach der Weltwirtschaftskrise, sogar noch vergrössert. Ortega besitzt heute 71.3 Milliarden US-Dollar Privatvermögen und ist der viertreichste Mensch weltweit6

Schlechte Arbeitsbedingungen in den globalen Kleider- und Schuhfabriken sind nicht einfach mit dem „richtigen“ Konsumverhalten zu ändern, denn hier geht es im Kern um eine Gerechtigkeits- und Verteilungsfrage, darum welche Art von Handelssystem wir sehen wollen, was wir als „Normalität“ akzeptieren und was nicht. Die G20 haben am 7./8. Juli 2017 in Hamburg eine Deklaration verabschiedet und darin u.a. ihr Bekenntnis abgegeben, dass faire Löhne eine der Schlüsselkomponenten für nachhaltige globalen Lieferketten sei und dass sich die G20 für den Abbau von Diskriminierung und Gewalt an Frauen einsetzen will.7 An politischen Absichtserklärungen fehlt es also nicht, an konkreten Massnahmen hingegen schon. Als engagierte Bürgerinnen und Bürger können und müssen wir beginnen, unsere eigenen Regierungen beim Wort zu nehmen und Taten statt leere Lippenbekenntnisse einzufordern.


Zur Autorin:Christa Luginbühl arbeitet seit 20 Jahren im NGO Bereich. Von 2008-2016 hat sie für Public Eye die Clean Clothes Campaign (CCC) Schweiz geleitet. Seit 2017 ist sie Geschäftsleitungsmitglied von Public Eye.

Die CCC ist ein globales Netzwerk zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie.

Christa Luginbühl ist ausgebildete Primarlehrerin und hat berufsbegleitend ein Nachdiplomstudium in „Management in Non-Profit-Organisationen“ (FH Nordwestschweiz) sowie CAS-Lehrgänge in „Entwicklung und Zusammenarbeit (ETH Zürich) und „Gender, Justice, Globalisation“ (Universität Bern) abgeschlossen.

2 Christa Luginbühl, Bettina Musiolek: „Im Stich gelassen: Die Armutslöhne der ArbeiterInnen in Kleiderfabriken in Osteuropa und der Türkei", 2014, https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/CCC/2014_D_CCC-Report-Stitched_Up.pdf

3 Christa Luginbühl, Bettina Musiolek: „Labour on a Shoestring“, 2016, „https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/CCC/BD_REPORT_labour_on_a_shoestring.pdf

4 Aus: Christa Luginbühl, Bettina Musiolek: „Labour on a Shoestring“, 2016, S. 19 „https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/CCC/BD_REPORT_labour_on_a_shoestring.pdf

5 Aus: Christa Luginbühl, Bettina Musiolek: „Labour on a Shoestring“, 2016, S. 15 „https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/CCC/BD_REPORT_labour_on_a_shoestring.pdf

6 https://www.forbes.com/billionaires/list/ , zuletzt besucht am 22.7.2017

Letzte Änderung am Montag, 23 Juli 2018 11:28

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