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Klimaschutz mit TTIP? Demonstration gegen TTIP

Klimaschutz mit TTIP?

geschrieben von  Friedrich Brachmann Sep 06, 2015

Die Kohlenstoffbilanzen sind alarmierend eindeutig: Gegenüber der vorindustriellen Zeit (ca. 1750) hat sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 280 Teilen pro Million Teile Luft (parts per million - ppm) heute auf 400 ppm erhöht. Sie steigt zur Zeit jährlich durch den Emissionsausstoß von 32 Gigatonnen um 2 ppm. Bei einer Konzentration von 450 ppm wird die Atmosphäre um zwei Grad Celsius wärmer sein als 1750. Bis dahin kann sie noch maximal 565 Gigatonnen CO2 aufnehmen. Jenseits dieser Grenze sollte Energie nur noch emissionsfrei erzeugt werden. Für die notwendige wirtschaftspolitische und kulturelle Umsetzung reicht die Zeit fast nicht mehr.

Die Verbrennung heute bekannter noch nicht geförderter Erdöl-, Kohle und Gasvorkommen würde 2795 Gigatonnen CO2 freisetzen. Das Klima wäre dann überhitzt. Doch anstatt das zu verhindern, bildet das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) die gesetzliche Grundlage für ein ganz anderes, gegenteiliges Programm.

Eigentum verpflichtet nicht mehr
In den 1970er Jahren , als das Klimaproblem erkannt wurde, begann mit dem New Deal auch der Umbau des Kapitalismusmodells von der staatlichen Regulierung zum Shareholder Prinzip. Damit ging es nicht mehr um das Wohl der Beschäftigten und die Wohlfahrt der Kommunen, sondern um konzerngesteuerte Ziele, um kurzfristige Wertsteigerung der Aktien und um höhere Dividenden. Dieses System ist inzwischen weltweit dominant. 

Heute, 40 Jahre später, behaupten auch reiche Länder, arm zu sein. Sie streichen die Sozialleistungen für ihre eigene Bevölkerung zusammen, kürzen an der Infrastruktur, sparen an öffentlichen Dienstleistungen und verbinden traditionelle Entwicklungshilfe eher mit militärischen Sicherheitsstrategien. Seit der Krise 2007 werden immer wieder Banken gerettet. Dadurch haben sich die Staatsschulden der westlichen Länder im Schnitt fast verdoppelt. Der europäische Zentralbankchef, Mario Draghi, brachte es in einem Interview mit dem Wallstreet Journal im Februar 2012 auf den Punkt: „Das europäische Sozialmodell ist Vergangenheit.“
Die Rettung des Euro hänge vom Vertrauen der Finanzmärkte ab. Kurzfristige wirtschaftliche Erfolge der Shareholder gelten als einziger Maßstab im System, welches vom Prinzip der endlosen Renditensteigerung als Selbstzweck getrieben wird. Öffentliche und private Schulden der einen sind dabei die Vermögen der wenigen Superreichen. Nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung halten die Hälfte des weltweit börsennotierten Kapitals. Finanzielle Großvermögen haben den Wert von 250 Billionen Euro überschritten und übersteigen damit das Bruttosozialprodukt der Welt (ca. 60 Billionen Euro) um das Vierfache. Eine Verzinsung von zwei Prozent auf private Großvermögen erfordert somit ein Weltwirtschaftswachstum von acht Prozent. In der Eurozone liegt es kaum bei einem Prozent.5 Wie sollte dieses System nicht kollabieren?

Die eigentliche Weltmacht geht nach Studien des Soziologen Hans Jürgen Krysmanski derzeit von einer sich meist verdeckt haltenden Finanzoligarchie aus. Ihr arbeitet eine Konzern- und Finanzelite zu. Wer nicht im Sinne der Geldelite funktioniert, verliert den Job. Den nächsten Funktionsring bilden politische Eliten. Sie organisieren zum Beispiel durch „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) die Aneignung von unten nach oben. Im Außenring finden sich Wissenseliten und willfährige Wissenschaftler, die durch ihre Expertisen und Handlungsempfehlungen den Geldmachtkomplex ideologisch absichern. 

Nun liegen die Wachstumsraten von Ländern wie China oder Indien seit Jahren deutlich über denen des Westens. Nur ein noch engeres Bündnis zwischen den USA und Europa gilt als echter Trumpf, um den ungestümen Emporkömmlingen (wie dem “Rest” der Welt) weiterhin die Regeln diktieren zu können. Den Preis würden Bürger*innen und Kommunen auf beiden Seiten des Atlantiks zahlen. Es würde wesentlich schwerer, Arbeitsplätze, Gesundheit und Klima zu schützen. Ein Grund für die Zivilgesellschaft, möglichst gemeinsam europaweit und global dagegen vorzugehen.  

Grenzenloser Handel oder Begrenzung der Emissionen?
TTIP steht in einer Reihe mit dem Multilateralen Investitionsabkommen (MAI), dem Anti–Piraterie–Abkommen (Acta), dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Tisa) sowie dem Europäisch–Kanadischen Freihandelsabkommen CETA. MAI (1998) und Acta (2011) wurden nach massiven Protesten aufgegeben. Die Verhandlungen über CETA sind abgeschlossen. Der Wortlaut wird voraussichtlich im Sommer den Parlamenten vorgelegt. Da viele US-amerikanische Konzerne auch Niederlassungen in Kanada haben, gilt CETA als Testfall für TTIP. Sollte CETA in Kraft treten, könnte die Verhinderung von TTIP über Kanada umgangen werden.

Die Verhandlungen über TTIP sind hoch geheim und erwecken Misstrauen, außer bei den Lobbyisten internationaler Konzerne. Der Abbau von Zollschranken kann das Problem nicht sein. Sie spielen zwischen den USA, Kanada und Europa schon jetzt kaum eine Rolle. Die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse (das sind zum Beispiel industrielle Sicherheitsstandards, Vorschriften über die Sicherheit von Lebens- oder Arzneimitteln, Umweltstandards oder Zulassungsbedingungen) lässt die Einigung auf dem niedrigerem Niveau befürchten. Hoffnung auf Verbesserungen in Sachen Tariflöhne, Verbraucherschutz, soziale und ökologische Bedingungen entlang der Lieferketten – das war gestern. Wenn es nur um die Angleichung technischer Standards ginge (zum Beispiel in der Autoindustrie), würde da nicht ein internationales Normierungsgremium eher zum Ziel führen?

Schließlich fehlt eins der wichtigsten Handelshemmnisse überhaupt auf der breiten Agenda: die Devisenspekulation. Währungsschwankungen zwischen Euro und Dollar verändern die Preise der Waren oft um ein Vielfaches dessen, was als wirtschaftlicher Zuwachs durch TTIP von den Befürwortern erhofft wird. Dieser Zuwachs liegt allerdings einer unabhängigen Studie zufolge mit jährlich weniger als 0,05 Prozent unterhalb der Nachweisgrenze. Dabei sind negative Effekte wie der Verlust von 600 000 Jobs in Europa, das Sinken der Lohnquote und des Bruttoinlandsproduktes oder die wachsende Instabilität der Finanzmärkte noch nicht berücksichtigt.

TTIP ist vermutlich sehr viel mehr als ein „einfaches“ Freihandelsabkommen. Es geht um Deregulierung, um Konzern- oder Lobbyermächtigung gegen die Interessen der Bürger*innen und gegen das Klima. Das zeigt sich besonders beim vorgesehenen Investorenschutz. Eine US-amerikanische Lobbygruppe stellt ihn sich so vor: der Investor kann einen Staat verklagen, wenn er meint, dieser schränke sein Recht ein, „zu investieren, was er will, wo er will, wann er will, wie er will, und den Profit daraus zu ziehen, den er daraus ziehen will“.8 Ein privates internationales Schiedsgericht soll über diese Klagen ohne Berufungsmöglichkeit entscheiden. Staatliche Regulierungen zur Begrenzung von Emissionen könnten dann hohe Kosten für Gerichtsverfahren und für Gewinnausfälle nach sich ziehen.

Auch wenn TTIP, CETA & Co. noch gestoppt werden können, um den Klimaschutz steht es nicht gut. Vor allem nicht bei Politiker*innen, die ihre Macht all zu schnell an profitorientierte Konzerne abgeben.

Die Divestment-Bewegung geht einen anderen Weg. Sie fordert alle auf, die Aktien oder Anleihen der börsennotierten Konzerne mit den größten fossilen Energiereserven besitzen: Holt euer Geld dort raus! Die Botschaft geht an Unternehmen, Universitäten, Städte, Pensionsfonds, Versicherungen und Kirchen. Je mehr sie ankommt, desto mehr verlieren auch die verbleibenden Anleihen in dieser Branche an Wert. Die Finanzwelt spricht bereits von einer carbon bubble.

Gibt es also doch noch Hoffnung fürs Klima? Außer von der politischen Elite hängt das auch von Bürger_innen ab, wie sehr sie Geld, Konsum und Verstand bewusst für ein postfossiles Zeitalter einsetzen. 

Letzte Änderung am Montag, 26 September 2016 11:25

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